"Du klingst da aber anders, ich hätte Dich fast nicht erkannt", höre ich oft von Bekannten, wenn ein neuer Werbespot mit meiner Stimme im TV läuft. Das finde ich aber nicht schlimm, eher im Gegenteil: das verbuche ich als Kompliment. Wenn ich als Sprecherin für Werbung engagiert werde, spiele ich ja eine Rolle - ich verkörpere jeweils einen bestimmten Typ Frau, passend zum Produkt und zur Kampagne. Ich spreche dann also meistens nicht als "die Andrea", die meine Freunde normalerweise kennen.
Die Stimme als Stilmittel
Die passende Rolle wird für jeden Spot und jede Produktion neu entwickelt. Häufig ist im Bild eine Frau zu sehen, mit der muss dann die Sprechart harmonieren. Cool? Sachlich? Provokativ? Motivierend? In der Regel bespricht man als Sprecherin vor der Aufnahme mit dem Art Director, dem Projektmanager und/oder dem Regisseur in welche Richtung die Botschaft und die Emotion gehen sollen. Gemeinsam kreieren wir dann die passende Tonalität für den Spot, so dass das Ergebnis am Ende rund und stimmig ist. Manchmal experimentieren wir einige Zeit lang spielerisch herum - dabei kann es schon mal ziemlich lustig werden im Studio.
Ein Beispiel
Für diese bekannte Shampoo-Marke spreche ich schon seit vielen Jahren die TV-Werbung. Eine Zeit lang waren die Spots eher überdreht, fast schon comicartig, sie vermittelten das Lebensgefühl von Abenteuer und Action. Aber mit dieser neuen Kampagne sollte es nun wieder etwas ruhiger werden - und sinnnnnlicher. Wir wollten, dass es nach "mmmmhhh" klingt. Der Spot ging dann so on air:
Kein Wunder, dass mich einige meiner Bekannten hier nicht sofort erkennen, denn mit DIESER Stimme und Sprechhaltung komme ich normalerweise nicht zu geselligen Abenden mit Freunden. 😉
Der Spot hätte natürlich auch noch ganz anders klingen können. Ok, bereit für ein kleines Experiment... welchen Typ Frau sehen Sie hier vor Ihrem inneren Auge?
Und hier?
Das was als nächstes kommt, ist Ihnen zum Glück im TV erspart geblieben. 😉 Mit DIESER Darbietung wäre ich ohnehin bereits beim Casting rausgeflogen…
Es kommt eben nicht nur auf die Stimme an sich an, sondern besonders darauf, wie man sie einsetzt.
Oops, diese charmante Dame ist wohl noch von Halloween übrig geblieben... pardon!
Eine kleine Spielerei, die daran erinnern soll, dass Sprechen nicht gleich Sprechen ist, sondern sehr facettenreich sein kann. Wir Menschen sind mit einer großen Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten geboren, also immer raus damit! Jeder darf entdecken, was alles in ihm steckt. (Die Hexennummer passt nur manchmal. 😉 )
Gute Profisprecher und Schauspieler haben gelernt, die Facetten ihrer Persönlichkeit und Emotionen gezielt zu aktivieren. Aber das beschriebene Phänomen der verschiedenen Sprechhaltungen und Rollen betrifft natürlich genauso alle Nicht-Profisprecher! Es kann äußerst interessant und aufschlussreich sein, sich selbst und andere im Alltag beim Sprechen zu beobachten. Achten Sie zum Beispiel mal darauf, wie Frauen ihre Sprechart ändern, wenn unerwartet ein attraktiver Mann den Raum betritt. Meistens rutscht die Stimme der Damen ein paar Töne nach oben... *flöt*. Warum das so ist? Spannende Frage! Es gibt eine Erklärung dafür. Das wäre eigentlich glatt einen eigenen Beitrag wert.
Aber ist das denn noch authentisch?
Sind wir nun deswegen gleich unauthentisch, wenn wir mal in einer anderen Tonalität sprechen? Bin ich unauthentisch, wenn mich meine Freunde in einem Werbespot nicht erkennen? Ist Angelina Jolie unauthentisch als Lara Croft?? Natürlich nicht! 🙂 Denn erstens beinhaltet jede Persönlichkeit mehrere verschiedene (authentische) Facetten und zum anderen sind wir auch nicht immer in der gleichen Stimmung. Wir sind viele! Jedes Gefühl, jede körperliche Anspannung, allein schon unsere Körperhaltung hat einen Einfluss darauf, wie die Stimme klingt. Probieren Sie es doch gleich einmal aus, und beobachten Sie im Laufe des Tages, was mit Ihrer Stimme in unterschiedlichen Lebens- und Körperlagen passiert. Ich freue mich, in den Kommentaren von Ihren Erfahrungen zu lesen.
Übrigens: Es gibt tatsächlich jemanden, der mich immer erkennt, egal wie wenig meine Stimme nach Alltagsandrea klingt. Meine liebe Freundin Elke! Ab und zu schickt sie mir eine Nachricht, so wie neulich: "Warst Du das gerade im Weltspiegel??". Aber kein Wunder, denn Elke und ich kennen uns seit der 5. Klasse und wir haben schon viele verschiedene Lebensphasen gemeinsam durchgestanden. Im Laufe der Zeit fühlt man den anderen einfach in der Stimme, egal welche Rolle sie oder er zwischendurch verkörpert.